Gurudev Sri Sri Ravi Shankar spricht über eine neue Ära der Spiritualität, die kompatibel ist mit dem modernen westlichen Leben.
Interview durchgeführt von Aaron Prosser.
Frage 1: Es sieht danach aus, als würden mehr Leute nach innerem Frieden und einem Sinn in ihrem Leben suchen… Das ist ganz besonders in der westlichen Welt der Fall. Viele Westler zieht es – auf der Suche nach spirituellen Lehrern, wie du einer bist – nach Indien. Was denkst du, warum das geschieht?
Gurudev: Nun, die Welt geht abwechselnd durch verschiedene Phasen. Vor mehreren Jahrhunderten gab es ein Zeitalter der Erforschung, gefolgt von einem Zeitalter der Wirtschaft und der Industrie, wiederum gefolgt von einem Zeitalter der Technologie usw. Ich denke, wir betreten gerade das Zeitalter der Spiritualität. Wenn die Menschen durch so viele Arten von Erfahrungen gesättigt sind, wenn sie selbst übermäßigen Komfort satt haben, dann beginnt die Suche nach etwas Anderem, nach etwas Tieferem im Leben.
Frage 2: Was denkst du, was Spiritualität ist? Was bedeutet es, ein spirituelles Leben zu leben?
Gurudev: Jede Person wünscht sich Glück, wünscht sich Liebe. Das sind die Dinge, die durch Spiritualität ermöglicht werden. Spiritualität bedeutet einfach, die ganze Fülle des Lebens zu leben, das Leben als Feier zu zelebrieren. Bestimmte Elemente – wenn sie vorhanden sind – lassen das Leben zu einer erfüllenden Erfahrung werden.
Dazu gehören die folgenden Dinge: Sich gesund zu erhalten, bis zu einer gewissen Tiefe etwas über sich selbst zu wissen, etwas Zeit in der Natur zu verbringen und in Harmonie mit ihr zu leben, sich um die Menschen im eigenen Umfeld zu kümmern, ehrenamtliche Arbeit in irgendeiner Form zu leisten.
Wir können feststellen, dass diese Aspekte ein Teil aller alten Kulturen in der ganzen Welt sind.
Um ein spirituelles Leben zu führen, ist es nicht notwendig, auf irgendetwas zu verzichten oder irgendetwas zu opfern.
Du kannst sowohl spirituell als auch materiell in der Fülle leben.
Frage 3: In Anbetracht dessen, was du gerade gesagt hast: Denkst du, dass Spiritualität und Unternehmen koexistieren können? Kann eine Person mit einem Bein in der Finanzwelt und mit dem anderen in der spirituellen Welt stehen?
Gurudev: Mit Sicherheit. Spiritualität gibt dir ein tiefes Gefühl der inneren Zufriedenheit, was bewirkt, dass du deinen Verpflichtungen besser nachgehen und deine Verantwortung besser wahrnehmen kannst. Finanzieller Wohlstand ist keineswegs ein Hindernis für die Spiritualität. Je stärker du spirituell erfüllt bist, desto mehr handelst du aus einem Gefühl der Verantwortung und nicht aus einem Gefühl der Gier oder der Anhaftung heraus.
Frage 4: Wir können uns jedoch gut vorstellen, dass jemand dich so etwas fragt. Nach deinen Lehren und Handlungen ist es klar, dass – für dich – die einzigen wahren Werte die menschlichen Werte sind, d.h. Frieden, Gleichberechtigung, selbstloses Dienen und Mitgefühl. Viele Menschen in der Wirtschaft oder solche, die ein Unternehmen führen, betrachten jedoch die Finanzen als einzigen wahren Wert. Wie müsste sich die Welt deiner Meinung nach verändern, um den Wert der menschlichen Werte zu erkennen?
Gurudev: Wenn der Preis für den erzielten finanziellen Erfolg eine Menge Stress und Spannung ist, die deine eigene Gesundheit, den Frieden in deinem Geist und deine eigenen Beziehungen beeinträchtigen, was hast du dann davon? Wofür sammelst du den ganzen Reichtum an? Ein teures Bett nützt nichts, wenn du nicht schlafen kannst. Deine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, um Reichtum anzuhäufen, und danach den verdienten Reichtum für die Wiedererlangung der Gesundheit auszugeben, klingt nicht nach einem guten Umgang mit der Wirtschaftlichkeit.
Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt, Wohltätigkeit reinige das Vermögen. Wenn du einen Teil deines Reichtums für Wohltätigkeit einsetzt, dann wird dir dieser Reichtum Behaglichkeit und Verdienst bringen.
Wenn du Geld verdienst mit der Haltung, alles für dich selbst auszugeben, dann wird dieser Reichtum alle Arten von Spannungen und Schwierigkeiten bewirken.
Soziale Verantwortung in der Unternehmensführung ist heutzutage eine bekannte Vorstellung überall in der Welt.
Finanzielle Unternehmen sollten sich also in irgendeiner Form daran beteiligen, die Gesellschaft in ihrem Umfeld zu verbessern.
Frage 5: Du lehrst und gibst Seminare auf der ganzen Welt. Yoga und Meditation sind in deinen Lehren ein Hauptanliegen. Kannst du kurz beschreiben, was Yoga und Meditation sind, und inwiefern sie für Unternehmer und Menschen, die im Bereich der Finanzen arbeiten, von Bedeutung sein könnten?
Gurudev: Yoga und Meditation sind einfache aber sehr wirksame Werkzeuge, um sich selbst stressfrei zu erhalten. Regelmäßig ein paar Übungen zu machen bringt dich in Kontakt mit deiner inneren Tiefe. Neben dem sehr offenkundigen Gefühl von Gesundheit und Wohlbefinden, das dir dadurch gegeben wird, helfen Yoga und Meditation dir auch, sehr viel besser mit Situationen und Herausforderungen umzugehen. Deine Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, verbessert sich. Da du mehr und mehr auf deine innere Stimme hörst, wenn du Anleitung brauchst, bist du fähig, Entscheidungen mit einem klareren Geist zu treffen, und deine Intuition wird stärker.
Frage 6: Das ist sehr interessant. Bevor wir unser Gespräch beenden, möchte ich auf deine Friedensmission in Pakistan eingehen, die vor kurzem – im März dieses Jahres – zum zweiten Mal stattgefunden hat. Dein erster Besuch dort war im Jahr 2004. Indien und Pakistan blicken auf eine lange Zeit der Konflikte und Spannungen zurück. Pakistan selbst musste in den letzten Jahren stark unter internen Konflikten, Extremismus und den Taliban leiden. Was war das Ziel dieser Reise, und denkst du, die Friedensmission sei erfolgreich gewesen?
Gurudev: Das Ziel dieser Reise war, auf beiden Seiten Kontakte von Mensch zu Mensch herzustellen. Wenn man über die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan spricht, werden gewöhnlich die Rivalität und die Spannung hervorgehoben, besonders in offiziellen und politischen Interaktionen. Es gibt jedoch auf beiden Seiten große Liebe und guten Willen unter den Massen. Wir haben so viele kulturelle Gemeinsamkeiten. Ich wurde überall, wohin ich ging, mit viel Zuneigung empfangen. Kurz nachdem ich zurückgekehrt war, hatten wir eine Delegation von ungefähr dreihundert Pilgern aus Pakistan in unserem Zentrum in Bangalore zu Gast. In unseren Kursen lehren wir, anderen Menschen zuerst unsere Hand zur Freundschaft zu reichen. Wir haben festgestellt, dass das ausnahmslos wirkt.
Frage 7: Welche Worte der Weisheit kannst du angesichts dessen an diejenigen weitergeben, die – wie du – nach beiden Dingen suchen, sowohl nach innerem Frieden als auch nach Frieden für die Welt?
Gurudev: Ich würde sagen, Terrorismus und Gewalt existieren genau so sehr aufgrund der Untätigkeit der guten Menschen als aufgrund der Handlungen der schlechten Menschen. Frieden ist kein Phänomen, das durch fragile politische Vereinbarungen zu realisieren ist. Frieden entsteht, wenn du dich von innen heraus unerschütterlich fühlst. Auf der Ebene der Gesellschaft oder der Öffentlichkeit, zeigt er sich als aufrichtiges Gefühl von Zugehörigkeit, Fürsorge und Inklusivität. Das ist die Bildung, die für den Frieden notwendig ist. Nur diejenigen, die innerlich mit sich selbst in Frieden sind, können der Welt Frieden bringen.